Jürgen Neffe
Mehr als wir sind
C.Bertelsmann 2014, 413 pages
Was wäre wenn man nie mehr schlafen müsste und trotzdem voller Energie wäre?
Und wenn der Mittel dazu völlig harmlos wäre?
Ich denke, eine ganze Menge Menschen wären Bereit, ihn auszuprobieren.*
Wäre ich Coppki, würde ich mir nicht erlauben, seine Geschichte zu erzählen.
So fängt der Roman über Coppki an, erzählt von einem Biografen in einer fernen Zukunft in Deutschland (und dieser Roman wurde wiederum auch von einem Biografen geschrieben). Also, ist das ganze etwas verschachtelt. Auf jeden Fall philosophisch. Äußerst interessant zu lesen.
Der Erzähler (Biograf) in der Geschichte schreibt:
An dieser Stelle entlarvt sich die Unbefangenheit des Biografen als Selbstbetrug. Da wir den Fortgang der Geschichte kennen, beurteilen wir Situationen zwangsläufig anders, als unser Held sie erlebt. Wir sehen Fehler, die noch keine waren, als sie geschahen, und sich erst im weiteren Verlauf als solche entpuppen. Wir nennen Entscheidungen visionär, die vollkommen zufällig fielen, sehen Vorsehung am Werk, wo kein Plan im Spiel war, halten umgekehrt für Zufall, wohinter Weitblick steckte.
Vor allem aber zwingen wir die Erzählung des Lebens in die Logik einer Dramaturgie, wie sie das Drama des Lebens nur selten hergibt. So polieren wir Glanz, wo Trübnis herrschte, zeichnen große Lebendläufe, die sich nie großartig anfühlten, legen Tragik in Lebenswege, denen ihre Zeit nichts Tragisches ansah.
Coppki ist ein autodidaktischer Chemiker, leicht autistisch vielleicht, ein Eigenbrötler, ein Nerd. Nachdem Vera, eine schöne Fotografin, zu ihm sagt „Ich würde alles geben, wenn ich nicht mehr schlafen müsste“, schafft er es, aus Wasser ein Elixier zu machen, das genau das bewirkt. Am Anfang ist sie die Einzige, die es kennt, aber bald kommt Veras Tochter Jenny dahinter und sie kann es wiederum nicht nur für sich behalten. Am Ende ist es fast die ganze Welt. Die Gesellschaft ändert sich dadurch (wenn man nachts nicht mehr schläft, kriegt man z.B. auch dann Hunger, also müssen die Restaurants länger aufbleiben, und Menschen müssen – und können – länger arbeiten, um nur ein kleines Beispiel zu nennen)
Die Geschichte ist clever gemacht, aber man muss sie aufmerksam lesen (man darf nicht zu müde sein wenn man es liest… J), das ist kein Thriller der rasant vorangeht, sondern ruhiger, vielleicht akademischer im Stil. Es gibt noch einige Aspekte und Anspielungen in der Geschichte, die interessante Diskussionen hergeben würden, aber wer möchte schon alles im Voraus wissen. Viel schöner ist es, sie selber zu entdecken.
* Mein 16-jähriger Sohn kam herein als ich das schrieb, also fragte ich ihn ob er so einen Mittel haben wollte. Er meinte nein, weil er es liebt zu schlafen (Das stimmt. Besonders morgens wenn es Zeit ist, sich für die Schule fertigzumachen...)
Write a comment